Schwabinger Kunstpreis

Am 05. Juli 2007 wurde Jochen Schölch der Schwabinger Kunstpreis verliehen. Die Laudatio hielt Beate Kayser:

 

Es kann sein, nein es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass der Teenager es als Bedrohung, als Übergriff empfunden hat. Ich schenkte der Sechzehnjährigen zum Geburtstag eine Theaterkarte, ihr, die, wenn zu Hause das Wort “Kultur" fiel, automatisch mit Brechreiz reagierte. Wie konnte diese Kuh aus der Elterngeneration, also ich, darauf kommen, einen nervigen Theaterbesuch auch noch als Geschenk zu deklarieren?

Es handelte sich allerdings um eine Karte zu Black Rider, dem Signaturstück des Metropoltheaters. Rätselhaft verlockend und gefährlich durchmaß Viola von der Burg auf hohen Beinen die Bühne; von den Fingern menschlicher Büsche wurden Früchte gepflückt; Regenschirmräder, von Schauspieler-Hand gedreht, zogen eine imaginäre, aber plötzlich höchst reale Kutsche, ­ man sah dem Theater selber beim Entstehen zu.

Der “Vollzug" beim Teenager lief wie erhofft. Zuerst gerade noch höfliche Reserve, dann ziemlich bald konzentriertes Zuhören und -sehen, und am Schluss ein ehrliches “Danke, war toll". W i e toll es gewesen sein musste, erfuhr ich später: Die völlig verblüfften Eltern bekamen von dieser sich so quer zur Kultur gebärdenden Tochter Karten für "Black Rider" zu Weihnachten: Eindeutig Jochen Schölchs Erfolg, den zu feiern ich heute die Ehre und das große Vergnügen habe.

Vor zehn Jahren war er so tollkühn, nach einer bereits längeren Theaterkarriere - unter anderem am Münchner Teamtheater und in Potsdam - in Freimann ein Privattheater aufzumachen, und von Anfang an bis heute war und ist das Metropoltheater ­ ja - Münchens spannendste Bühne. Der Charme, aber auch die Unbequemheit des alten Kinos in der Floriansmühlstraße sind voll gewahrt, ­ das Hinkommen ist durchaus ein Abenteuer: Weit raus mit der U6, dann durch eine düstere Unterführung und danach irgendwie weiter...

Als ich schon vom Schölch-Bazillus infiziert war und sah, dass sonst theaterbegeisterte Freunde bei dieser Adresse nicht anbissen und sich weiter nur rund um den Odeonsplatz bedienten, habe ich sie mit vorgehaltenen Karten zum Glück gezwungen, auch schon mal einen privaten Fahrdienst geleistet. Ich wusste ja, dass das nur einmal nötig wäre: Jeder, der da war, kommt wieder, tritt (hoffentlich aber wahrscheinlich) auch dem Verein zur Förderung dieses Theaters bei wie Dieter Dorn, Loriot, Christian Ude.

Ja, was treibt er denn nun eigentlich in seinem Theater, der Schölch? Er strengt uns an, wirft, bevor er alles so richtig "ausformuliert" hat, das Seil dem Publikum zu. Das muss die Nüsse knacken, die hier niemand durch die Mühle dreht, muss Mit-Entschlüsseln, Mit-Denken. Und jeder tut's. Merkt, dass er viel mehr Phantasie hat, als er selber glaubte und wie ein Vierjähriger durchaus noch imstande ist, in einem Brett den Tisch, das Bett, die Schultafel, die Bahre zu entdecken (alles in einem Stück), und dass genau dies die pure Theaterlust bedeutet.

 

Frisch ist Schölchs Theater, handgemacht, auf eine weise Art naiv. Alles entsteht vor unseren Augen, ist im nächsten Moment umgedeutet oder einfach - weg. Es ist, wie wenn man mit ganz wenig Gepäck verreist: Man hat die Hände frei für das Neue, das Fremde, das Eigentliche.

Seine Stoffe? Oft sind es Filme (von Ettore Scola, von Woody Allen, Lars von Trier), manchmal bekannte Stücke, die unter seiner Hand wie neu aussehen oder auch von ihm selber dramatisierte Romane. Alles ist möglich, ­ hat nicht auch Shakespeare seinen Boccaccio kräftig hergenommen?
Das erinnerungssüchtige, schlagerselige und inzwischen weit gereiste Ballhaus, die herzbewegende Lucie Cabrol (in Gestalt des Ausnahme-Schauspielers Gerd Lohmeyer), ­ man vergisst nichts und will immer wieder hin.

Einer alleine kann so ein Theater nicht machen. Schölch hat ein Team um sich gesammelt, das mit ihm durch Dick und Dünn geht. Neben erfahrenen Schauspielern kann er (und nur er kann¹s so) seine Akademie-Studenten einsetzen, ­ zum Glück ist er ja auch Schauspielchef an der Everding-Theaterakademie. Und bereits im zweiten Jahr können die Erstaunliches:
die Rolle in den Körper kriegen, handeln, statt herumzufühlen (die Wärme kommt, wenn die Rolle sitzt). Dabei lässt Schölch sie an seinen Zweifeln teilhaben: "Wisst Ihr weiter? Ich gerade nicht. Wir müssen aber eine Lösung finden". Und auch diesen Gedanken vermittelt er den Studenten: "Kreativität hat viel mit Scheitern zu tun, mit Nichtwissen".

Von Peter Brook hat er den Satz übernommen: "Talent ist Neugier". Scheint so zu sein, denn jedes Mal wird man im Metropol, dem Theater der Machart, wieder von etwas Neuem überrascht ­ innerhalb des erkennbaren Stils.

Und noch eine Besonderheit: Schölch kann Götter neben sich dulden. Viele Theaterchefs lassen außer der eigenen Person nur deutlich Schwächere ans Regiepult. Schölch ist stolz darauf, wenn der blitzbegabte Gil Mehmert einen Contract Killer (nach Kaurismäki) hinlegt, der ein Spielplanrenner wird.

Weit über München hinaus ist das Haus geschätzt, wird überall hin eingeladen. Schölch selber ist mehr als ausgelastet. An der Uni unterrichtet er Kulturmanagement, hat in Sardinien ein Theater-Forschungsprojekt laufen, wird zu viel mehr Inszenierungen, auch von Opern, auch in München, eingeladen, als er annehmen kann. Und Zeit, um mit seinem Sohn Mathe zu machen, findet er auch noch.

Von den Anfangsschwierigkeiten im Metropol, von menschlichen Enttäuschungen, Ämterquerelen, die es bis zur Verzweiflung gab, soll heute nicht geredet werden. In finanzieller Sicherheit kann Schölch sich auch heute nicht wiegen. Sein Traum wäre wohl eine freie Gruppe im Stil von Peter Brook oder Jerzy Grotowski. Aber er hat zu seinem und unserm Glück ja ein Haus, das zugleich immer auch ein Theaterlabor ist. Und wer da rauskommt, erfrischt im Kopf und im Herzen, hat ganz neu das Staunen gelernt."

 

Beate Kayser